Elendenhaus
Pasewalk, Mecklenburg-Vorpommern

Elendenhaus

Wertvolles Zeugnis des Mittelalters

Brände, Verwüstungen und Kriege haben der vorpommerschen Stadt Pasewalk im Lauf ihrer Geschichte oft zugesetzt. Besonders die Kämpfe gegen Ende des Zweiten Weltkriegs vernichteten fast die gesamte historische Bausubstanz der ehemaligen Hansestadt, und so finden sich heute nur noch wenige Zeugnisse der Vergangenheit im Stadtbild, verstreut zwischen moderner Nachkriegsbebauung. Umso bedeutender für Pasewalk ist das ehemalige Elendenhaus als letztes erhaltenes Gebäude des Mittelalters.

Spenden Sie jetzt für öffentliche Bauten


Von der reichen Hansestadt zur Totalzerstörung

Noch heute wird Pasewalk vom knapp 80 Meter hohen Turm der St. Marienkirche dominiert. Anhand dieses mächtigen gotischen Baus kann man erahnen, welche Bedeutung Pasewalk im Mittelalter besessen haben muss – die Stadt gehörte zum Hansebund und war durch den Getreidehandel reich geworden. Der dreißigjährige Krieg brachte einen jähen Einschnitt, die mittelalterliche Ackerbürgerstadt wurde großflächig zerstört. Unter dem preußischen König Friedrich Wilhelm I. wurde die Stadt ab 1720 großflächig wiederaufgebaut, doch dauerte es kaum mehr als 200 Jahre, bis die nächste Katastrophe hereinbrach. Im Rahmen einer Offensive der Roten Armee gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Pasewalk fast vollständig dem Erdboden gleichgemacht, das historische Stadtbild wurde unwiederbringlich vernichtet. Heute finden sich nur noch wenige Bauten der reichen Vergangenheit zwischen nüchterner Nachkriegsarchitektur, die umso schützenswerter sind. Hierzu gehört auch das vermutlich um 1400 errichtete Elendenhaus, welches sich neben der Stadtmauer als letztes Zeugnis der mittelalterlichen Bebauung Pasewalks erhalten hat.

Mittelalterliches Obdachlosenheim

Die Bezeichnung Elendenhaus rührt nicht vom erbärmlichen Zustand des Gebäudes, sondern vielmehr von seiner Nutzung. Verarmte und Kranke wurden damals üblicherweise von ihren Familien gepflegt. Für obdachlose Fremde, die beispielsweise als Wandergesellen oder Tagelöhner fernab der Heimat ein Einkommen suchten, war dies jedoch nicht möglich. So kümmerten sich sogenannte Elendsbruderschaften um die Bedürftigen und errichteten eine Stiftung für die Armen- und Krankenpflege.

Ein Denkmal voller Rätsel

Das kleine, zweigeschossige Gebäude schließt sich direkt an die südliche Mauer des Kirchhofs von St. Marien an. Besonders auffällig ist der ungewöhnliche Bauschmuck des Elendenhauses. Jede Seite des Gebäudes ist anders gestaltet, zahlreiche Nischen und Blenden mit unterschiedlichen Bogenformen, Breiten und Höhen gliedern den Wandaufbau, ohne eine Ordnung erkennen zu lassen. Auch nimmt der Aufbau der Fassaden keinen Bezug auf die Aufteilung der Innengeschosse. Bauhistoriker vermuten eine Kombination aus mehreren Nutzungen: So könnte der erhaltene Backsteinbau ursprünglich als Kapelle der Elendsbruderschaft gedient haben, während sich ein hölzerner Anbau als „Armenbude“ anschloss – ähnliche Formen sind in den mittelalterlichen Hospitälern des Ostseeraums wie Lübeck oder Stralsund bekannt. Die reiche Fassadengliederung als auch eine exakte Ost-West-Ausrichtung könnten auf einen Sakralbau hinweisen. Auch die zweigeschossige Aufteilung im Innern wurde nachweislich erst im 18. Jahrhundert eingefügt, vermutlich bestand das Gebäude vorher aus einem großen Raum. Welche Geheimnisse das Gebäude noch birgt, werden nur weitere Forschungen herausfinden.

Nachdem die Bruderschaften im Laufe der Reformation aufgelöst wurden, diente das Haus bis 1563 als Spital, bevor es als Wohnung für Kirchenbedienstete und im Anschluss als Gemeindesekretariat und Büro genutzt wurde. Das Elendenhaus ist nicht nur für Pasewalk von immenser historischer Bedeutung, auch für die deutsche Architektur- und Sozialgeschichte ist es ein bedeutendes Zeugnis.

Mittelalterliches Backsteinwohnhaus, um 1350. Förderung 2019.

Adresse:
Große Kirchenstr.
17309 Pasewalk
Mecklenburg-Vorpommern