ehem. Synagoge
Görlitz, Sachsen

ehem. Synagoge

Ein seltenes Beispiel vernichteter Kultur

Über Jahrhunderte waren Anhänger des jüdischen Glaubens eine Minderheit, die vielfach am Rand der christlich geprägten Mehrheitsgesellschaft leben musste. Erst mit der Aufklärung begann ein Prozess, der in Deutschland besonders ab dem 19. Jahrhundert im Zusammenhang mit der bürgerlichen Emanzipationsbewegung dazu führte, dass das Judentum einen zentraleren Platz in der Gesellschaft erhielt. Mit dieser gesellschaftlichen Entwicklung ging der Bau neuer, prachtvoller Synagogen einher. Wurden diese bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts vielfach mit Anklängen an orientalische Architekturstile errichtet, suchte man fortan neue Formen für den Bau jüdischer Versammlungsstätten. Vor den Novemberpogromen 1938 existierten auf dem Gebiet des damaligen Deutschen Reiches etwa 2.800 Synagogen, weit über die Hälfte wurden bis Kriegsende zerstört und später abgerissen. Als einzige in Sachsen wurde die Synagoge in Görlitz nicht verwüstet oder zerstört, sie ist heute einer der beeindruckendsten Bauten des Judentums in Deutschland.

Spenden Sie jetzt für Sakralbauten


Symbol des selbstbewussten Bürgertums

Mit dem Abriss der mittelalterlichen Synagoge 1390 endete die erste, nur knapp zweihundert Jahre andauernde Phase jüdischer Siedlungsgeschichte in Görlitz. Erst 450 Jahre später entwickelte sich am bedeutendsten Handelsplatz der Oberlausitz dank einer liberalen preußischen Gesetzgebung Mitte des 19. Jahrhunderts hier wieder eine jüdische Gemeinde. 1853 wurde in der Nähe des Görlitzer Obermarktes eine erste Synagoge eingeweiht, die aufgrund des schnellen Wachstums der Gemeinde bereits knapp zwei Jahrzehnte später erweitert werden musste. Schon 1907 hatte der damalige Gemeindevorsteher Emanuel Alexander-Katz ein Grundstück in der Nähe des Görlitzer Stadtparks erworben, auf dem ein zeitgemäßer und ausreichend großer Neubau entstehen sollte. Errichtet wurde dieser nach einer landesweiten Ausschreibung nach Entwürfen von William Lossow und Max H. Kühne. Die beiden Architekten waren auch für den Bau des Leipziger Hauptbahnhofs und des Dresdner Schauspielhauses verantwortlich. Zwischen Mai 1909 und März 1911 entstand ein kubischer, monumentaler Baukörper in den Formen des Neoklassizismus. Traditionelle Bauideen wurden mit zeitgenössischen Impulsen kombiniert, die Errichtung der Synagoge als einer der ersten Stahlbetonbauten Deutschlands gilt noch heute als wegweisend.

Prachtvolle Ausstattung erhalten

Die straßenseitig nach Westen ausgerichtete Eingangsfront nimmt Bezug zu spätantiken Tempeln und ist mit reichen Jugendstilornamenten verziert. Der Giebel wird durch ein vertikal ausgerichtetes Fenster mit zwei Streben, ein sogenanntes Thermenfenster, akzentuiert. Durch das Eingangsportal betritt man die Vorhalle, ihr östliches Gegenstück sind weitere Nebenräume, die als Sitzungssaal, Wochentagssynagoge und Funktionsräume dienten. Der gesamte Baukörper wird von einem quadratischen Turm geprägt, der noch heute einen wichtigen städtebaulichen Akzent bildet. Im Turmuntergeschoss befindet sich die zentrale Halle mit einem Fassungsvermögen von 500 Personen. Der dank großer Fensterflächen lichtdurchflutete Raum wird durch Wandpfeiler akzentuiert, entlang der westlichen Wand zieht sich die auf Pfeilern ruhende Frauenempore. Farblich dominiert wird der Innenraum durch Gold- und Blautöne. Bei der Ausgestaltung nahm man historischen Bezug zu den prachtvoll ausgemalten ostpolnischen Holzsynagogen. Die mächtige Kuppel wird dominiert von einem Schuppenmotiv, ein am Kuppelansatz verlaufendes Friesband zeigt Symbole wie dem siebenarmigen Leuchter oder den Löwen als Symbol des Stammes Juda.

Rettung nach Terrorherrschaft und Verfall

In der Reichspogromnacht wurde auch die Görlitzer Synagoge in Brand gesetzt, doch rückte, anders als in vielen deutschen Städten, die Feuerwehr aus, um den Brand zu löschen. Heute lässt sich nicht mehr nachvollziehen, welcher genaue Umstand die Synagoge vor der vollständigen Vernichtung bewahrte. Nach Kriegsende stand das Gebäude ungenutzt leer. Seit 1963 im Besitz der Stadt Görlitz, diente es zu DDR-Zeiten zuletzt als Kulissenlager des Städtischen Theaters, verfiel aufgrund mangelnden Bauunterhalts jedoch immer mehr. Teile des Baus waren bereits eingestürzt, der 26 Meter weiten Kuppel drohte ebenfalls der Zusammenbruch.

Erst nach der Wende konnte mit der umfassenden Sanierung dieses für Sachsen einmaligen Gebäudes begonnen werden. Zwischen 1993 und 2017 stellte die Deutsche Stiftung Denkmalschutz wiederholt große Summen für die Instandsetzung des wertvollen Denkmal zur Verfügung. Bereits 2008 konnte die Synagoge Görlitz als Kultur- und Begegnungszentrum wiedereröffnet werden und erstrahlt heute in restauriertem Glanz. Erst nach der Wende konnte mit der umfassenden Sanierung dieses für Sachsen einmaligen Gebäudes begonnen werden. Zwischen 1993 und 2017 stellte die Deutsche Stiftung Denkmalschutz wiederholt große Summen für die Innensanierung und Dachreparaturen zur Verfügung. Schrittweise wurde das Langhaus saniert und die Stuckdecke instandgesetzt. Die Fenster rekonstruierte man nach historischen Vorbildern und die erhaltenen Türen wurden aufgearbeitet. 2008 konnte die Synagoge Görlitz als Kultur- und Begegnungszentrum wiedereröffnet werden und erstrahlt heute in ihrem ursprünglichen Glanz.

Neuklassizistischer Putzbau, 1910/11 von William Lossow und Max H. Kühne, Förderung 1993/94, 1996, 1998, 2008, 2013-15, 2017

Adresse:
Otto-Müller-Straße
02826 Görlitz
Sachsen