Die historischen Kirchgaden Thüngersheim liegen zentral in dem von Kirche, Kirchhof, Ölbergkapelle und Rathaus an der Kirchgasse gebildeten Ortskern. Es handelt sich bei ihnen um die restlichen sechs Gebäude aus der Zeit von 1400 bis 1824 der ehemaligen Eigenbefestigung der Kirchenburg St. Michael. Die Gaden gehören zu den ältesten Gebäuden Thüngersheims. Sie wurden in einer Würzburger Urkunde 1443 erstmals erwähnt. Der Begriff Gaden bedeutet so viel wie Raum, Gemach oder Scheune. In Süddeutschland wurde der Begriff vor allem im Zusammenhang mit befestigten Kirchen, Kirchenburgen oder Wehrkirchen verwendet. An die Außenmauern der Kirchenburgen waren an der Innenseite außen fensterlose Lagerräume angefügt, in denen man in ruhigen Zeiten im Notfall, in unruhigen Zeiten ständig, die Erntevorräte sicher aufbewahren konnte. Die Kirchgaden wurden im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert. Nachdem man diese nicht mehr als Schutz benötigte, wurden in die äußere Mauer zur Kirchgasse große Öffnungen gebrochen und mit Scheunentoren versehen. Es handelt sich um traufenständige zweigeschossige Einzelgebäude, von denen fünf unterkellert sind. Die Rückseiten sind fachwerksichtig. Anfangs wurden sie als Schutz- und Lagerbauten gegen Angriffe von außen errichtet und dienten straßenseitig als Befestigungsmauer. Sie wurden unter Einbeziehung älterer Mauerreste ausgeführt. Lange dienten sie als Kelleranlage zur Vorratshaltung für die Bürger. Das Mauerwerk der Gade 1 bis 5 diente bis zu einer Höhe von im Mittel ca. 3,5m ursprünglich als Wehrmauer. Die Datierung des Mauerwerks erfolgte auf der Grundlage einer im Mörtel gefundenen Münze in die 1. Hälfte des 11. Jahrhunderts. Bei Gade 3b kann auch das Mauerwerk im Obergeschoss in diese frühe Zeit datiert werden. Das Mauerwerk der Gade 6 diente eventuell nicht mehr als Teil der Wehrmauer, da sie jünger ist. Die Keller sind ebenfalls um das 11. Jahrhundert zu datieren. Von den heute noch bestehenden Holzkonstruktionen ist die der Gade 2/3a die älteste und auf 1429/30 datiert. Ihre Seitenwände und Rückwand zum Kirchhof ist bis heute überkommen. Die Gade 1 zeigt im OG die zweitälteste Holzkonstruktion, die der Gade 4 entstand nach 1437, die der Gade 5 nach 1537, Gade 6 um 1599/1600. Die Holzkonstruktion der Gade 3b entstand 1565/1566. Später erfolgt die Öffnung der Gaden zur Straße hin und Aufgabe der meisten Kellerhälse auf der Kirchhofseite. Jüngere größere Umbaumaßnahme war der Ausbau des Dachstuhls von Gade 1 zum Mansarddach und die Neugestaltung des Kellerzugangs derselben (1826) sowie die Aufgabe des letzten Kellerhalses von Gade 3b mit Einzug einer Betondecke und Treppe. Es fanden sich konstruktive Schäden an den Dachstühlen, Fassadenbeschichtungen und -öffnungen waren desolat. Einige Bereiche der Konstruktion wurden nur durch Notsicherungen gehalten. Besonders desolat waren die Gaden 4 und 5, die teileinsturzgefährdet sind. Die Dächer wiesen große Löcher in der Dachhaut auf. Eindringendes Niederschlagswasser ermöglichte zudem ein fehlender Dachabstand an den Giebelseiten. Dies führte zu größeren Schäden, u.a. auch zu Schwammbefall. Das Konzept, das leerstehende Denkmalensemble für eine öffentliche Nutzung zu sanieren, ist sehr begrüßenswert. Die geplante Nutzung für kulturelle Veranstaltungen und zur Darstellung des traditionsreichen Weinbaues in der Region wirkt tragfähig. Es waren keine größeren Eingriffe in die Bausubstanz notwendig, um das gesetzte Nutzungsziel zu erreichen, d.h. auch die historische Kleinteiligkeit der Räume wird erhalten. Zugleich wird die Nutzungsflexibilität durch die Verbindung der Gaden erhöht. Für die zukünftigen Nutzungen erforderliche neue Bauelemente wurden zur vorhandenen Bausubstanz klar abgegrenzt und als Ergänzungen des 21. Jahrhunderts ablesbar. Teilweise wurden die bestehenden Holzkonstruktionen, da nicht ausreichend tragfähig, durch Subsidiärkonstruktionen unterstützt (ausgeführt in Metall). Lediglich bei Gade 5 kam es zu einer größeren Erneuerung, da hier nur noch die frühere Wehrmauer zur Kirchgasse gehalten werden konnte. In Gade 5 erfolgte wegen des angetroffenen schlechten Bauzustands ein Haus-in-Hauseinbau in Holz. Das Nutzungskonzept hat die Gemeindeverwaltung kontinuierlich mit den Denkmalbehörden entwickelt: "Mit den WeinKulturGaden bot sich für die Bürger von Thüngersheim und den benachbarten Gemeinden die Möglichkeit, einen lebendigen Veranstaltungsort mit einem attraktiven kulturellen Angebot zu erhalten. Die kulturelle Identität und Zusammenhalt und Engagement der Bürger werden durch die vorgesehenen ehrenamtlichen Aktivitäten in den Gaden gestärkt. Mit dem Veranstaltungs- und Ausstellungsprogramm können sich Synergieeffekte für die gesamte Region ergeben. Thüngersheim als zentraler Ort der Wein-Großlage Ravensburg übernimmt eine Pilotfunktion, die regional ausstrahlt. Wein und Winzer der Großlage werden in den mitten im Zentrum von Thüngersheim gelegenen Gaden präsentiert. Auf diese Weise wird das kulturelle Erbe der Region erhalten und fortgeführt" (aus dem Nutzungskonzept). "Der attraktive Nutzungsmix mit öffentlichen, kulturellen und touristischen Aspekten fördert nachhaltig die Belebung des Ortskerns, so dass zentrale Funktionen wie Wohnen, Kultur und Wirtschaft gestärkt werden" (BLfD in seiner Stellungnahme an die DSD). Zur Umsetzung des Projekts waren der Gemeinde u.a. Mittel aus dem Europäischen Fonds für Regionalentwicklung in Aussicht gestellt. Nach einem beschränkten Planungswettbewerb entschied man sich unter Einbeziehung der Bevölkerung für das Konzept eines Münchner Architekturbüros. Dabei werden unter Berücksichtigung der geltenden Vorschriften einige Einbauten und Veränderungen, z. B. zwei neue Treppen zur Erschließung als auch nutzungsbedingte Eingriffe, z. B. die Verbindung verschiedener Gebäude miteinander notwendig. So wurden vier Gebäudekeller mittels Durchbrüchen miteinander verbunden. Insgesamt wurde versucht, bestmöglich mit dem Bestand umzugehen und die Zutaten zu integrieren. Bereits jetzt zeigt sich die weiterhin kleinteilige Struktur der sechs Gebäude im Inneren und auch von außen. Hier wurden die Fassaden repariert und das vorgefundene Erscheinungsbild wieder vervollständigt. Es zeigt sich, dass die Gemeinde mit den Kirchgaden eine besondere Denkmalensemble-Perle zurückerhalten hat. Alle Dachziegel sind alt, durch Wiederverwendung und Zukauf. Für die Außenfassaden und die Außenwände innen wurde in Abstimmung mit den Denkmalbehörden ein mineralischer Dämmputz ausgewählt. Bei den Fenstern wartet die Isolierverglasungen mit Stahlmetallrahmen auf. Die überwiegend kleinteiligen Fensteröffnungen sehen mit ihrer sprossenlosen Verglasung dadurch an/in den Fassaden interessant aus. Die von Gade zu Gade erfolgten Wanddurchbrüche sind konsequent durch Stahlstürze als bauliche Eingriffe der Gegenwart erkennbar gemacht. Stahlträger sind in maßvollem Umfang und sichtbar verbaut. Die Zwischenwände werden in ihrem historischen Bestand überwiegend erhalten. Die Arbeiten an den Kirchgaden sind fachlich gut verlaufen.
Adresse:
Kirchgasse
97291 Thüngersheim
Bayern