Mitten durch das Gelände des ehemaligen römischen Theaters rattern die ICE-Züge: Am Mainzer Südbahnhof treffen die historischen Zeitschichten ungebremst aufeinander. Wäre hier nicht 1884 eine Bahnstrecke angelegt worden, das größte römische Theater nördlich der Alpen schlummerte wohl bis heute unter der Erde der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt. Die ersten Funde wichen allerdings ohne eingehende Untersuchungen dem Gleisbau. Erst 1914 konnten weitere Ausgrabungen in diesem Bereich einem Bühnentheater zugeordnet werden, doch verhinderte der Erste Weltkrieg tiefergehende Forschungsarbeiten, die Mauerreste wurden wieder zugeschüttet und das Bühnentheater geriet erneut in Vergessenheit.
Erst als Ende der 1990er Jahre stadtplanerische Überlegungen aufkamen, das Umfeld des nahegelegenen Bahnhofs neu zu bebauen und an der Fundstelle die Zufahrtstraße zum Parkhaus eines Großkinos anzulegen, kam es aufgrund der akuten Gefährdung zur Intensivierung der Forschung – eine Sternstunde der Archäologie in Deutschland. Das monumentale Bodendenkmal ist einer der größten Schätze der Stadt Mainz, an dem ihre Geschichte besonders gut ablesbar ist.
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Einmalige Anlage nördlich der Alpen
Um 13/12 v. Chr. gründete Drusus, der Stiefsohn des Kaisers Augustus, auf einer das Rheintal und die Mainmündung beherrschenden Höhe ein Lager als Ausgangspunkt für die geplante Eroberung des rechtsrheinischen Germanien. Kaufleute und Handwerker siedelten sich in seinem Schutz an, und so entwickelte sich ab dem 1. Jahrhundert die Zivilstadt Mogontiacum, das spätere Mainz. Ab den 80er Jahren des 1. Jahrhunderts wurde sie zur Hauptstadt der Provinz Germania Superior. Nach dem Tode von Drusus im Jahr 9 v. Chr. errichtete man dem verdienten Feldherrn, der in vier Feldzügen Germanien vom Rhein bis zur Elbe dem Römischen Reich unterworfen hatte, in Mainz ein Ehrengrabmal. Dort fand bis ins 3. Jahrhundert jährlich eine Gedenkveranstaltung statt, die eine kultische Parade des Heeres und eine zivile Gedenkfeier der Repräsentanten der 60 gallischen Gebietskörperschaften umfasste. Vermutlich diente das Bühnentheater als Versammlungsort für die zivile Gedenkfeier, während die Parade im Umfeld des nahe gelegenen Drusus-Monumentes stattfand.
Nach aktuellem Forschungsstand wird der Durchmesser des Theaters auf ca. 116 m und seine Bühnenbreite auf ca. 42 m rekonstruiert. Damit stellt der Bau das größte bekannte Theater nördlich der Alpen dar und übertraf sogar vergleichbare Bauten in den französischen Städten Orange oder Arles. Die noch erhaltenen Unterkonstruktionen zeigen, dass die Theaterbesucher durch unterirdische Gänge, Rampen und Treppen zu ihren Plätzen auf den steil aufsteigenden Rängen gelangten. Das Bauwerk bestand aus mörtelgebundenem Gussmauerwerk und war mit Handquadern aus Kalkstein verblendet. Auf den halbkreisförmig angeordneten Zuschauerrängen, der 'cavea', fanden einst bis zu 13.000 Menschen Platz.
Vergessen im Nebel der Geschichte
Schon Mitte des 4. Jahrhunderts befand sich in Mainz keine römische Garnison mehr, die schützende Stadtmauer wurde später verkürzt. Infolgedessen lag das Theater fortan vor den Toren der Stadt und wurde zum Abbruch freigegeben. Ab dem 6. Jahrhundert dienten die überwölbten Räume wie Katakomben für Bestattungen aus den umliegenden Klöstern. Noch im 11. Jahrhundert war das Theater bekannt. Mit dem Bau der Zitadelle in der Mitte des 17. Jahrhunderts wurden die oberirdischen Reste des Baus aus verteidigungstechnischen Gründen vollständig eingeebnet – und der Vorhang des Vergessens senkte sich für lange Zeit über das antike Theater von Mogontiacum. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz förderte von 2000–2008 die Ergrabung und Dokumentation der mächtigen Anlage und konnte 2024 Maßnahmen zur Mauerkonservierung an den Substruktionspfeilern unterstützen.
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