Zwischen den Funktionsbauten aus der Nachkriegszeit wirkt das
Thalia Theater mit seiner hellen Fassade und der charakteristischen
Tempelfront wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Das Theater
wurde 1912/13 von Georg Kallmorgen und Werner Lundt an der
Nordseite des Alten Pferdemarktes, dem heutigen
Gerhart-Hauptmann-Platz, errichtet. Den Architekten war daran
gelegen, dass der neue Musentempel nach Fertigstellung ebenso
stattlich, aber auch einladend wirkte wie sein zu klein gewordener
Vorgänger auf der gegenüberliegenden Seite. Der auf 1.300
Sitzplätze ausgelegte Neubau antwortete auf den Ursprungsbau mit
einer säulenbestandenen und giebelgekrönten Fassade. Figuren von
Apoll und Thalia sowie neun Musenreliefs machten die Bestimmung des
klassizistischen Baus als Theater kenntlich.
1945 wurde das neue Haus schwer beschädigt. Doch schon ab 1946
gingen die Vorstellungen weiter, nachdem das Theater notdürftig
repariert worden war. Werner Kallmorgen, der Sohn des Architekten
der Ursprungsgebäudes, baute das Haus wieder auf. 14 Jahre später
war der Neubau abgeschlossen. Er entsprach dem Ideal des modernen
Bauens der Nachkriegszeit: Auf Zierelemente wurde zu Gunsten von
schlichter Funktionalität verzichtet. Die Tempelgiebel wurden
eingeebnet, die Marmor-Säulen des unzerstörten Vestibüls erhielten
einen weißen Anstrich, die polierten Hölzer eine Mattlacklasur und
der Mosaikfußboden verschwand unter einer schlichten
Teppichbodenauflage. Paneele und Dekor der Teestube und der
Leuchter wichen dem neuen, reduzierten Design. Der Bau mit seinem
schlicht-funktionalen Raumbild gilt als hervorragendes Beispiel für
die Moderne der fünfziger Jahre. Seit 1981 ist das Gebäude
denkmalgeschützt.
Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz unterstützte in den neunziger
Jahren die notwendig gewordenen umfangreichen Sanierungen. Das
Theater erhielt ein neues Dach und die Fassade wurde saniert.
Anschließend folgte die Restaurierung der Eingangshalle, bei der
Georg Kallmorgens Gestaltung von Entree, Treppen und Teeraum
unversehrt zutage traten. Hier entschied man sich dafür, die
Sanierungsarbeiten so fortzuführen, dass schließlich ein
Konglomeratsbau entstand – mit gestalterischen und stilistischen
Elementen aus dem späten Jugendstil mit klassizistischen Anklängen
und der nüchternen, modernen Formensprache der fünfziger Jahre. Das
Vestibül und der Logenrang wurden in den ursprünglichen Zustand von
1843 zurückversetzt, während der im Zweiten Weltkrieg stark
zerstörte Mittlere und Obere Rang nach der Gestaltung von
Kallmorgen jun. saniert wurden. Entstanden ist so ein
architektonisches Zwiegespräch zwischen zwei baulichen Epochen und
zwei Generationen, zwischen Vater und Sohn.