Eine Spur des mittelalterlichen Baubetriebs
Auch Leerstellen können wichtige Informationen für Bauforscher enthalten. Im Außenmauerwerk mittelalterlicher Backsteinkirchen oder Natursteinbauten finden sich manchmal regelmäßig angeordnete Löcher. Diese kleinen, rechteckigen Aussparungen haben keine Schmuckfunktion. Sie sind eine Spur des geschickten und materialsparenden Gerüstbaus im Mittelalter.
Heutige Baugerüste aus Metall werden normalerweise vom Boden aus hochgezogen. Die Bauleute der Romanik und Gotik dagegen mauerten zunächst so weit, wie die Arme reichten. Dann sparten sie in der nächsten Steinlage des aufwachsenden Mauerwerks Löcher mit regelmäßigem Abstand aus, in die sie waagerechte Gerüstbalken schoben und von innen verankerten. Auf die auskragenden Tragstangen wurden querliegende Gerüstbretter gelegt. Von dieser Plattform aus konnten die Maurer weiterarbeiten. Auch die nächsten Gerüstetagen wuchsen darauf empor; sie mussten nur leicht an der Wand abgestützt werden. Nach vier Gerüstetagen jedoch war Schluss. Dann wiederholte sich der Vorgang: neue Gerüstlöcher wurden ausgespart und wiederum stabil verankerte Horizontalbalken eingesetzt. So wanderte die mobile Arbeitsbühne (auch „fliegendes Gerüst“ genannt) mit dem entstehenden Bauwerk Stück für Stück nach oben. Die nicht mehr benötigten und nicht mehr erreichbaren Gerüstlöcher ließ man im Mauerwerk, die unter Putz oder Schlämme verschwanden.
Als authentische Spur des mittelalterlichen Baubetriebs sind Gerüstlöcher heute wertvoll. Manchmal enthalten sie noch Gerüstbauhölzer die mittels Dendrochronologie datiert werden können. Vielfach wurden sie in späteren Zeiten als störend empfunden und deshalb nachträglich meistens verschlossen. Dann lassen sie sich nur bei genauerem Hinsehen erahnen. Im Innenraum verschwanden sie schon zur Bauzeit unter Putzschichten und farbigem Anstrich.