06.05.2010 – Presse

Ein mittelalterliches Zeugnis der Heimatverbundenheit

Die Veitskapelle in Stuttgart-Mühlhausen – Ein Förderprojekt der vor 25 Jahren gegründeten Deutschen Stiftung Denkmalschutz

Niemand hatte etwas bemerkt. Die im Zweiten Weltkrieg unversehrte kleine Veitskapelle in Stuttgart-Mühlhausen schien keine grundlegende Sanierung nötig zu haben. Doch bot ein durchfeuchtetes Dachtragwerk der Fäulnis, den Insekten und den Pilzen viele Jahre lang einen idealen Nährboden. Weil zudem die Mauerkrone die Mauern nach außen drückte, bildeten sich insbesondere im Chor und an den gotischen Fensterscheiteln Risse im Mauerwerk. Schäden waren schließlich auch an den Natursteinen im Chor und an den Putzflächen festzustellen. Der vollgesogene nasse Naturstein gab seine Feuchtigkeit an den Innenraum ab und schädigte somit die wertvollen Wandmalereien aus dem 14. und 15. Jahrhundert. An der Sanierung von Dach, Mauerwerk und Außenputz beteiligte sich auch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, die für die Sanierung des Langhausdaches bisher 85.000 Euro zur Verfügung stellte. Für das laufende Jahr ist die dringend notwendige Konservierung und Restaurierung der Wand- und Gewölbemalereien vorgesehen.

Mühlhausener Ortsadlige, die als Diplomaten am Hof Karls IV. in Prag lebten, stifteten 1380 ihrem Heimatort eine Kapelle, die sie unter das Patrozinium des heiligen Vitus stellten, des Nationalheiligen Böhmens. Der heilige Veit, einer der Vierzehn Nothelfer, starb unterDiokletian als Märtyrer und gilt alsSchutzpatron der Apotheker, Gastwirte, Bierbrauer, Winzer, Kupferschmiede, Tänzer und Schauspieler. Er wird gegen Krämpfe, Epilepsie, Tollwut, Veitstanz, Bettnässen und Schlangenbiss angerufen. Seine Mühlhausener Kapelle ist heute Stuttgarts älteste Kirche. Sie überstand den zweiten Weltkrieg unbeschädigt und wird bis heute von der evangelischen Kirchengemeinde gottesdienstlich genutzt.

Mit dem Bau des Kirchleins beauftragten die Bauherren Reinhard und Eberhard von Mühlhausen Meister aus der Prager Dombauhütte. Die Mitglieder der am Veitsdom wirkenden schwäbischen Architekten- und Bildhauerfamilie Parler schufen im 14. Jahrhundert bedeutende gotische Kunstwerke in ganz Europa, darunter die ersten Bildnisbüsten der Neuzeit. Ihre Veitskapelle in Stuttgart ist ein äußerlich relativ schlichter Bau, der aus einem rechteckigen, flach gedeckten Saal besteht, an den sich im Osten ein etwas eingezogener, gewölbter Chor und im Westen ein quadratischer Turm anschließen. Was die Kirche zu einem der bedeutendsten Kleinode gotischer Baukunst in der Region macht, sind insbesondere die zwischen 1400 und 1440 geschaffenen Wand- und Gewölbemalereien, mit denen die Kirche fast vollständig ausgemalt ist.

Die gut erhaltenen Fresken vermitteln einen anschaulichen Eindruck von der Farbigkeit mittelalterlicher Kirchen. Die Bildhintergründe der hochwertigen Wandmalereien gehören zu den ältesten Perspektivdarstellungen nördlich der Alpen. In den Bildfeldern im Langhaus sind Szenen aus dem Alten und Neuen Testament dargestellt, auf der Triumphbogenwand im Kirchenschiff wurden Propheten und Apostel aufgebracht und das Chorgewölbe zeigt den regierenden Christus neben der ebenfalls thronenden Maria. Besonders erwähnenswert und farblich ausdrucksstark sind die zeitgleich angefertigten zwölf Wandfelder mit der Legende des Kirchenpatrons im durch hohe Fenster belichteten Chorinnenraum.

Die dringend notwendige Konservierung und Restaurierung dieser Malereien musste zunächst zurückgestellt werden. Denn trotz ihrer hohen Bedeutung waren an der Kirche in den letzten Jahrzehnten keine grundlegenden Sanierungsarbeiten durchgeführt worden. Das rächte sich. Das durch Feuchtigkeitsschäden und Anobienbefall stark geschwächte Dachtragwerk drohte einzustürzen, weil es die Mauerkrone nach außen drückte. Im Innenraum traten Risse auf, die Gemälde waren gefährdet. Doch diese Gefahr konnte 2009 unter anderem durch die Hilfe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, die für die Sanierung des Langhausdaches 85.000 Euro zur Verfügung stellte, abgewendet werden. Jetzt müssen zur Sicherung der Malereien lose Mörtelpartien hinterspritzt und sich ablösende Malschichten gefestigt werden. Außerdem sind schadensträchtige Überzüge und Verschmutzungen zu entfernen.

Bonn, den 6. Mai 2010