17.05.2010 – Presse

Eine Werkstatt mit 84 Zimmern, 16 Küchen und bis zu 30 Gehilfen

Die Wittenberger Cranachhöfe – Ein Förderprojekt der vor 25 Jahren gegründeten Deutschen Stiftung Denkmalschutz 

Im Jahre 1507 erwarb der Maler und Verleger Lucas Cranach der Ältere ein Grundstück in Wittenberg, in dem er wohnen und malen konnte. 1513 brachte er in einem angrenzenden Gebäude, das er hinzukaufte, seine Malerwerkstatt unter. Die heute nach dem Maler benannten Hofbauten Markt 4 und Schlossstraße 1 entgingen in den 1980er Jahren nur knapp dem Untergang. Eine Bürgerinitiative setzte sich für sie ein und leitete 1989 mit dem Transparent „Wo Häuser verkommen, verkommen auch Menschen“ deren Wiederbelebung ein. Schon früh erhielt sie dabei Unterstützung durch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, die zwischen 1992 und 2007 rund 500.000 Euro für die Wiederherstellung des wertvollen Gebäudekomplexes zur Verfügung stellte. Dem historischen Vorbild folgend fanden wieder Galerien, eine Apotheke, ein Weinausschank, eine Druckerstube sowie Stipendiatenwohnungen und eine Herberge in den Höfen eine Bleibe, im rückwärtigen Gebäudeteil der Schlossstraße befindet sich eine Malschule für Kinder. 

Der erste Rektor der Wittenberger Universität, Martin Pollich von Mellerstedt, verkaufte 1507 das Grundstück Markt 4 an Lucas Cranach den Älteren, in dem der Maler und Verleger von 1512 bis 1517 und wieder ab 1522 wohnte. Seine berühmte Malerwerkstatt brachte er in dem angrenzenden Haus Schlossstrasse 1 unter, das er später hinzukaufte. 

Das Vorderhaus setzt sich aus zwei Gebäudeteilen zusammen, einem niedrigeren hofseitigen Bauteil von 1521 und dem von 1520 bis 1535 mehrfach durchgreifend erneuerten traufenständigen Bauteil zum Marktplatz hin. Im Zuge der Baudokumentation wurden im November 1993 im ersten Obergeschoss bislang unbekannte Renaissancedecken- und Wandfassungen freigelegt, die unter Verwendung etwa von Azurit-Blau und Malachit-Grün gemalt wurden. Die sehr wertvollen Halbedelstein-Farbpigmente lassen auf einen vermögenden Bauherrn schließen. Formvergleiche zu der floral-ornamentalen Deckenmalerei grenzen die Entstehungszeit auf die Jahre zwischen 1520 und 1540 ein, der Zeit also, in der Lucas Cranach das Haus am Markt bewohnte. Auch die anspruchsvolle architektonische Gestaltung der kreuzrippengewölbten Fluranlage im Erdgeschoss und des ebenso konstruierten Raumes über der westlichen Torfahrtachse, in dem möglicherweise die Hauskapelle untergebracht war, verweist darauf, dass es sich um Cranachs Ausgestaltung handelt. Ein solches Haus konnte dem vermögenden und einflussreichen, von den Wittenbergern dreimal zum Bürgermeister gewählten Unternehmer zu Repräsentationszwecken dienen. Die erhaltenen Hofflügel am Markt 4 gehören jedenfalls wegen der Authentizität ihrer Substanz und durch die reiche architektonische Ausbildung der gestaffelten Voluten- und Karniesgiebelstellung zum wertvollsten Denkmalbestand der Stadt. Nach 1771 erneuerte der damalige Besitzer die Anlage umfassend barock. Das Vorderhaus wurde um eine Etage aufgestockt, ein Treppenhaus eingefügt, die Raumverteilung grundlegend geändert und die Marktfassade mit der anspruchsvollen Pilastergliederung und dem Rocailledekor verziert. Trotz des Abrisses des Westflügels im 19. Jahrhundert beeindruckt die Hofanlage weiterhin. 

Das 1513 von dem Stadtrichter Kaspar Treutschel abgekaufte Grundstück Schlossstraße 1 gab Cranach die Möglichkeit, auf dem Gelände seine Werkstatt unterzubringen. Der dortige Komplex umfasste schließlich 84 beheizbare Zimmer und 16 Küchen, zeitweise arbeiteten dort 30 Gehilfen. Über die genaue Lage der Werkstatt im südlichen Teil des Ostflügels oder im Südflügel ist die Forschung noch nicht zu einem abschließenden Urteil gelangt. 

Baubeobachtungen und Dokumentationsarbeiten ergaben, dass der "Gartenflügel" in den 1540er Jahren als Stall, Remise oder Werkstattgebäude errichtet wurde, der Ausbau zu Wohnzwecken erfolgte erst um 1572. Demnach war es der Schwiegersohn des jüngeren Cranach, Polycarp Leyser, der die ehemaligen Volutengiebel und Zwerchhäuser des Vorderhauses errichten ließ. Barock erneuert wurde auch dieses Haus 1773, das mit dem Umzug der Adler-Apotheke vom Markt 4 zur Schlossstraße 1 wenige Jahre später um ein Geschoss aufgestockt wurde.