18.10.2010 – Presse

Standardisierte Siedlungshäuser im Stil der Neuen Sachlichkeit

Das Ernst-May-Haus in Frankfurt am Main – Ein Förderprojekt der vor 25 Jahren gegründeten Deutschen Stiftung Denkmalschutz 

Weil die ernst-may-gesellschaft feststellen musste, dass die meisten Bauten des Namen gebenden Frankfurter Architekten, Stadtplaners und Stadtbaurats, die heute einer Wohnungsbaugesellschaft gehören, mit den Jahren stark verändert wurden, entschloss sie sich 2005, mit dem Reihenhaus Burgfeld 136 ein "Musterhaus des neuen Bauens" einzurichten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das zweigeschossige Haus hat 4,5 Zimmer, Küche, Bad, WC und einen Garten. Unsachgemäße und nicht denkmalgerechte Modernisierungsmaßnahmen an Fenstern, Türen, Außenhaut und Dach hatten das ursprüngliche Erscheinungsbild des Hauses stark verändert. Auch alle Originalfassungen im Inneren waren mehrfach überpinselt worden. Mittlerweile sind Putz, Fassaden, Innenräume und Einbauten wiederhergestellt, ebenso die berühmte „Frankfurter Küche“ und der Garten. Selbst die nach Originalzeichnungen erneuerten Holzfenster erhielten längst die originale blaue Farbigkeit zurück. 

Das „Neue Frankfurt“ entstand zwischen 1925 und 1930 unter dem Architekten und Stadtplaner Ernst May (1886-1970), der damals Siedlungsdezernent der Mainmetropole war. May ließ in der Römerstadt, in Praunheim, Ginnheim und am Bornheimer Hang 15.000 erschwingliche Wohnungen errichten, die heute neben der Stuttgarter Weißenhofsiedlung und dem Dessauer Bauhaus zu den herausragenden Beispielen der frühen Moderne in Deutschland zählen. 

Die Siedlung Römerstadt im Stil der Neuen Sachlichkeit wurde als Siedlungsprojekt von 1926 bis 1928 in Heddernheim errichtet. Architekten wie Martin Elsaesser, Fedinand Kramer, Leberecht Migge und Mart Stam waren hier Mays Mitarbeiter. Die Siedlung besteht aus 1.220 Wohneinheiten mit 500 Geschosswohnungen und rund 700 Einfamilien-Reihenhäusern. In gekurvter und abgetreppter Linienführung folgen die Baureihen dem Hanggelände zur Nidda. Die Römerstadtsiedlung weist Gruppen von eingeschossigen Eigenheim-Reihenhäusern und drei- bis viergeschossigen Wohnblocks auf. Die Gebäude sind verputzt, zeigen Fensterbänder und Einzelfenster aus unterschiedlich großen Formaten und schließen mit Flachdächern ab. Die Eigenheim-Reihen akzentuieren dreigeschossige Wohnhaus-Kopfbauten. Talseitig springen die Gärten bastionsartig vor und sollten als Nutzgarten für die Selbstversorgung und zur Erholung dienen. Die Wohnungen haben Grundrisse mit minimierten Verkehrsflächen, die die Arbeitsabläufe und Nutzungszusammenhänge berücksichtigen. 

Die Römerstadtsiedlung ist ein Beispiel nicht nur für weitgehend standardisierte Siedlungshäuser, sondern ebenfalls für die von Margarete Schütte-Lihotzky entworfene Frankfurter Küche. Als funktionale Arbeitsküche auf kleinstem Raum entworfen, wurde sie für viele spätere Einbauküchen zum Vorbild. Ziel war auch, landschaftliche Gegebenheiten als Gestaltungselement in den Massenwohnungsbau aufzunehmen. 

Als die ursprünglichen Wohnungen durch fortschreitende Umbauten verlorenzugehen drohten, schuf die ernst-may-gesellschaft in der Römerstadtsiedlung ein Ernst-May-Musterhaus für Interessierte, das auf Anfrage im Rahmen einer Führung Im Burgfeld 136 zu besichtigen ist. Das zweistöckige Reihenhaus und der dazugehörende Garten wurden denkmalgerecht restauriert – inklusive „Frankfurter Küche“. Mit allen Originaltüren und Beschlägen sowie der Rekonstruktion des Nutz- und Ziergartens. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz unterstützt die Arbeiten seit 2007, mit bislang insgesamt 45.000 Euro. Neben den Ausstellungsräumen dient das Ernst-May-Haus auch als Dokumentations- und Veranstaltungsort. 

Die ernst-may-gesellschaft wurde 2003 von Architekten und Kunsthistorikern gegründet und hat sie sich zur Aufgabe gemacht, das Werk Mays zu dokumentieren und zu bewahren. Regelmäßig veranstaltet die Gesellschaft Vorträge und Rundgänge zu Bauten der May-Ära. Ihren Beweggrund hat die Gesellschaft so formuliert: „In Frankfurt gelang die Verwirklichung einer sozialen und ästhetischen Utopie: Die Linderung der großen Wohnungsnot mit dem Bau von vorbildlich gestalteten Siedlungen und Wohnungen. Damit wurden Maßstäbe bis heute gesetzt.“