26.07.2010 – Presse

Tessenows Theaterbau als Zentrum der Gemeinschaft

Das Festspielhaus in Dresden-Hellerau – Ein Förderprojekt der vor 25 Jahren gegründeten Deutschen Stiftung Denkmalschutz

Im Dritten Reich wurde das Festspielhaus der Hellerauer Gartenstadt zur Polizei- und SS-Kaserne, nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm die Russische Armee das Quartier. Zur Zeit der Wende war das Gebäude so vernachlässigt, dass die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) 1991 schnelle Hilfe offerierte. Der angestrebten raschen Sanierung stellten sich jedoch ungeahnte Probleme entgegen, die Eigentumsfrage war ungeklärt, eine Komplementärförderung unsicher. Notsicherungsmaßnahmen an Dach und Seitenflügel, für die die DSD rund 250.000 Euro zur Verfügung stellte, bewahrten den Bau Mitte der 1990er Jahre zunächst einmal vor dem endgültigen Verlust. Seit 1997 wurden - insbesondere mit Mitteln der Kulturstiftung Sachsen - die Dächer, das Foyer und die Treppenhäuser originalgetreu wiederhergestellt. Diese Grundinstandsetzung wurde 1999 mit einem internationalen Realisierungswettbewerb abgeschlossen, den ein Münchner Architekturbüro gewann. 2006 konnte der Festsaal wiedereröffnet werden und wird seither als Veranstaltungsort für hochkarätige Kulturveranstaltungen genutzt.

Nordwestlich von Dresden entstand nach 1907 eine nach englischem Vorbild konzipierte Gartenstadt, die neben dem neuen Werksgelände des erfolgreichen Unternehmers Karl Schmidt für seine 250 Mitarbeiter freundliche Wohn- und Lebensverhältnisse schaffen sollte. Die nach genossenschaftlichen Grundzügen errichtete Siedlung nannte sich Hellerau und wurde später ein Stadtteil der Elbmetropole. Hermann Muthesius hatte die Garden-City-Idee aus London importiert, für die Gebäude der „Deutschen Werkstätten für Handwerkskunst“ und ihrer Angestellten war dann Richard Riemerschmid der verantwortliche Architekt.

Dem sozialphilosophischen Ansatz der Siedlung entsprechend waren Gemeinschaftsanlagen und Kultureinrichtungen wesentlicher Bestandteil der Gesamtanlage. Zentrum der Gemeinschaftsbauten sollte nach Ansicht des ersten Geschäftsführers des Deutschen Werkbundes Wolf Dohrn, eines engen Freundes Karl Schmidts, das Festspielhaus werden, das von 1910 bis 1912 errichtet wurde. Dohrn beauftragte den Architekten Heinrich Tessenow mit einem Entwurf für das Bauwerk, dessen Einfachheit und Funktionalität für die moderne Architektur richtungweisend wurde.

Zusammen mit dem Schweizer Bühnenbildner Adolphe Appia konzipierte Tessenow ein Gebäude mit klar strukturiertem Grundriss. Der freistehende symmetrische Bau barg einen großen Festsaal, in dem erstmals die Trennung zwischen Akteuren und Zuschauern aufgehoben war. Der Saal konnte durch ein innovatives Beleuchtungssystem in verschiedene Lichtstimmungen versetzt werden. 1911 konnte die „Bildungsanstalt für rhythmische Gymnastik“ dort ihre Arbeit aufnehmen. In den 1920er Jahren verdankte das Festspielhaus seine weit über die Grenzen hinausreichende Bekanntheit gerade dieser Tanz- und Rhythmikschule des Musikpädagogen Èmile Jacques-Dalcroze, der die „Bedeutung des Rhythmus’ für die menschliche Entwicklung entdeckt“ und den Dohrn überredet hatte, sein Institut nach Hellerau zu verlegen. Alle Gartenstadtkinder und -lehrer wurden an dieser Schule unterrichtet. Doch kamen Schüler auch aus der ganzen Welt, um bei Jacques-Dalcroze zu lernen. Höhepunkt der Arbeit in Hellerau waren die Schulfeste 1912 und 1913, die international Beachtung fanden. Bachsche Fugen wurden dabei getanzt oder Glucks Oper „Orpheus und Eurydike“ tänzerisch umgesetzt. Die Uraufführung von Paul Claudels „L’Annonce faite à Marie“ war der Zenit von Dohrns Schaffen in und für das Projekt Gartenstadt. Vier Monate später verunglückte der Reformer beim Skifahren tödlich, Hellerau verlor seinen Mentor und Mäzen. Der Erste Weltkrieg beendete auch die Schule Jacques-Dalcrozes, der aus seinem Schweizer Exil nicht zurückkehrte.

Zwar wurde Hellerau in den 1920er Jahren noch einmal das Zuhause einer Reformbewegung - der „Neuen Schule“, an der Alexander Sutherland Neill unterrichtete und Erfahrungen sammelte, die später als Grundlage für die von ihm gegründete „Summerhill“-Schule dienten -, doch das Ende des Festspielhauses folgte unaufhaltsam. 1939 wurde das Gebäude zur Polizeischule, 1945 besetzte es die Rote Armee, bis sie es 1992 völlig desolat aufgab. 14 Jahre dauerte die Wiederbelebung des Festspielhauses, bis der Festsaal seit 2006 wieder als Veranstaltungsort für hochkarätige Kulturveranstaltungen dienen konnte.

Bonn, den 26. Juli 2010