27.09.2010 – Presse

Utile dulci – Das Schöne mit dem Nützlichen verbinden

Das Gartenreich in Dessau-Wörlitz – Ein Förderprojekt der vor 25 Jahren gegründeten Deutschen Stiftung Denkmalschutz 

Die UNESCO zählt das Dessau-Wörlitzer Gartenreich zum Erbe der Menschheit. Es besteht aus verschiedenen Gartenanlagen, so die von Wörlitz, Oranienbaum, Luisium, Mosigkau, Georgium und Grosskühnau. Das nach englischem Vorbild im klassizistischen Stil erbaute Schloss Wörlitz – 1769 bis 1773 von dem Architekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorf für den Prinzen Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau erbaut – ist eine Premiere. Mit dem von 1773 bis 1813 entstandenen Gotischen Haus hielt die Neogotik in Deutschland ihren Einzug. Viele Architekturen, darunter das Graue Haus, der Floratempel, das Nymphaeum, der Venustempel und eine Vielzahl von Brücken und Stegen vervollständigten im Verlauf von vierzig Jahren die sorgsame Landschaftsgestaltung, mit der der Fürst sein kleines Land aufwerten wollte. Dabei schuf sich der Landesherr ein „Reich“, das seinesgleichen nicht hat. Den Überblick über die verschiedenen ineinander fließenden Gärten und Parkanlagen verschafft sich der Besucher am besten an der 1794 bis 1798 künstlich geschaffenen Luisenklippe als Aussichtspunkt. 

Das sogenannte Dessauer Gartenreich entstand unter der Regierung des aufgeklärten Fürsten Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740-1817). In den 1760er Jahren unternahm der junge Fürst gemeinsam mit seinem Freund und Berater Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff Reisen nach England, Italien und Frankreich, die ihn zur Ausgestaltung des ersten Landschaftsgarten Kontinentaleuropas anregten. In den nächsten vierzig Jahren legte Leopold III. weitere Gärten in und um Dessau an, die er miteinander zu den Dessau-Wörlitzer Gartenanlagen verband. Die noch heute in großen Teilen erhaltene einzigartig "gestaltete Naturlandschaft" in der reichen Auenlandschaft der mittleren Elbe und unteren Mulde wurde von Goethe, Alexander von Humboldt, Jean-Jacques Rousseau und Johann Joachim Winckelmann bewundert. 

Gemäß seinem von Horaz übernommen Grundsatz, das Nützliche mit dem Schönen zu verbinden (utile dulci) verband der Fürst seine Begeisterung für den englischen Landschaftsgarten mit den aufklärerischen Ideen der Volkserziehung und Agrarreform. Einerseits wurden die Anlagen künstlerisch in unterschiedlichen Stilen gestaltet, andererseits selbst Böschungen und Wälle für landwirtschaftlichen Anbau und Obstplantagen genutzt, nirgends schien das Land für die Parkgestaltung "vernutzt" worden zu sein. 

Die scheinbar unberührte Natur ist dabei aus gestalteten "Gartenbildern" kreiert, deren Elemente nicht nur aus der Bepflanzung, den Flussläufen und Wegen, sondern auch aus Schlössern, Kulissenarchitekturen und Monumenten bestehen. Die Sichtachsen reichen weit über das eigentliche Parkgelände hinaus und banden fast das gesamte Fürstentum zu einem Gartenreich zusammen, zumal in das Gesamtkonzept nicht nur die neu entstandenen Anlagen Georgium, Luisium, der »Waldpark« auf dem Sieglitzer Berg und der Kühnauer Park mit einbezogen wurden, sondern auch die schon bestehenden Anlagen in Oranienbaum und Mosigkau. Die Landschaft wurde zu einer architektonischen Enzyklopädie von der Antike bis zu Neuzeit. Die Verbindung der Einzelgärten geschieht durch zahlreiche Alleen, Deichwege und Sichtachsen, die häufig mit Kleinarchitekturen und Plastiken aufgewertet werden. Dass der Fürst darüber hinaus die effiziente dessauische Landwirtschaft mittels den aus England importierten Neuerungen wie Kleeanbau, Horden- und Stallfütterung sowie der Abschaffung der Brache revolutionierte, begeisterte die Aufklärer ganz besonders. 

Für Kunsthistoriker ist das von 1769 bis 1773, also zwei Generationen vor Schinkel entstandene Wörlitzer Schloss als Gründungsbau des Klassizismus in Deutschland von großer Bedeutung. Dem Fürsten war Erdmannsdorffs Bau nach englischem Vorbild schlicht ein "Landhaus", in dem er einfach wie ein Landedelmann wohnen wollte. Doch wählte er am Ende als Heimstatt die ehemalige Wohnung des Hofgärtners, die er ab 1773 gotisierend erweitern ließ. Von hier aus bewirtschaftete er die umliegenden Äcker, züchtete Seidenraupen und baute Obst an. Das "Gotische Haus" barg schließlich den Lebenstraum eines Mannes, der lieber in England gelebt hätte.