19.07.2010 – Presse

Wo man vor lauter Brücke den Fluss nicht mehr sieht

Die Krämerbrücke in Erfurt – Ein Förderprojekt der vor 25 Jahren gegründeten Deutschen Stiftung Denkmalschutz

Seit 1325 überspannt eine steinerne Brückenkonstruktion mit Kramläden die Arme der Gera. Die Krämerbrücke gehört zusammen mit dem Dom zu den Wahrzeichen der thüringischen Hauptstadt. Einen hölzernen Vorgängerbau mit Budenbebauung hat es hier, an einer der ältesten Furten über den Fluss, wohl schon im 8. Jahrhundert gegeben. Im Mittelalter hatte die Brücke als Teil der Via Regia, der großen Handelsstraße quer durch Europa, eine außerordentliche Bedeutung. Als gewinnträchtiger und privilegierter Markt diente sie dem Handel mit Kleinwaren, mit "Kram", der der Brückenkrämerzunft den Namen gab. Auf der Brücke war der Handel mit Gewürzen, Stoffen und Geschmeiden ausdrücklich gestattet. In den Jahren zwischen 1993 und 2008 unterstützte die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) die Arbeiten an der Brücke und ihren Häusern mit über 1 Million Euro. In der treuhänderischen Verwaltung der DSD wurde zudem für die Krämerbrücke die "Elisabeth und Fritz Thayssen Stiftung" gegründet. 

Den Übergang über die Gera in die sich entwickelnden städtischen Siedlungsteile ermöglichte eine Brücke, die in kurzer Zeit sieben Mal von Bränden zerstört wurde. Daraufhin erbauten die Erfurter 1325 sechs steinerne Brückenbögen und überbauten die Brückenköpfe mit Kirchen, deren östliche bis heute erhalten ist. Anders als die Aegidienkirche wurde die westliche Benediktinerkirche 1810 abgerissen. Die heutige Bebauung auf der Brücke entstand im Kern nach dem letzten größeren Brand 1472. Danach verbreiterte die Stadt als Bauherr die Brücke mittels einer stabilen hölzernen Tragkonstruktion um fünf Meter, so dass die Häuser künftig auch bewohnbar waren. Nummern gab es für die Häuser nicht, dafür klingende Namen, wie „Engel und Christoph“, „Spiegelberg und Rosenkranz“ oder „Engelsröschen“. 

Die Häuser auf der Krämerbrücke sind kleinteilige Fachwerkbauten, die Elemente aus Gotik, Renaissance und Barock aufweisen und an einzelnen Stellen sogar Gestaltungsformen der Gründerzeit. Ursprünglich waren es über 60 Häuser, die mit der Zeit zu 32 Gebäuden zusammengefasst wurden. Bei vielen ließen sich die Brückenpfeiler als Kellerraum benutzen. Das gesamte Bauwerk misst 125 Meter in der Länge, 19 Meter in der Breite. Die Höhe mitsamt der Fundamente beträgt sieben Meter, mit Gebäuden bis zu 22 Metern. Die Brückenbögen überspannen 6 bis 8 Meter. 

Für die Sanierung der Brückenbögen rief die DSD in den 1990er Jahren zu Spenden auf. Mit der Spendensumme konnte nicht nur der dritte Bogen realisiert werden, sondern auch noch die Bögen Nummer 4 und 5. Alte Putz- und Mörtelreste wurden entfernt, ein zur Verstärkung dienender alter Betonkranz abgeschlagen. Alte und verrostete Eisenteile im Gewölbe ersetzte man durch Edelstahlklammern und konstruktive Verstärkungen der 1920er Jahre durch neu gefertigte, mehrteilige Natursteinbögen aus Seeberger Sandstein. 

Ein besonders interessantes Haus ist die heutige Nummer 31. Traditionell „Zum wilden Mann und gülden Schachtzaul“ genannt, stammt der teilweise in Sichtfachwerk gehaltene und durch ein Satteldach mit Dachgauben geschlossene Fachwerkbau aus dem 17., vielleicht sogar aus dem 16. Jahrhundert. Das Gebäude konnte als "Haus der Stiftungen" im November 2000 der Öffentlichkeit übergeben werden und ist seither einschließlich des Gewölbekellers in einem der Brückenpfeiler öffentlich zugänglich. Das Haus, in dem auch das Ortskuratorium Erfurt der DSD sein Domizil hat, wird jährlich von rund 40.000 Gästen besucht. 

"Es darf wohl für die Erfurter Krämerbrücke wegen des Alters, der originalen Baugestalt, der Bedeutung als Handelsvermittler zwischen Ost und West sowie als städtebaulicher Faktor der Rang der Einzigartigkeit in Deutschland in Anspruch genommen werden," urteilte der frühere thüringische Landeskonservator Professor Rudolf Zießler. Ein Besuch lohnt sich also, doch mit Bedacht. Denn viele Menschen merken erst, wenn sie den bedeutenden Übergang verlassen haben, dass sie ihn betreten hatten. Der Bummel „fühlt“ sich nämlich eher an wie ein Spaziergang auf einer ansteigenden und dann wieder abfallenden Gasse. Die Gera selbst sieht man von der Brücke aus nicht.