Manchmal braucht es etwas Abstand, um zu erkennen, was würdig ist, bewahrt zu werden. Das war in früheren Jahrhunderten nicht anders. Denn Werturteile waren und sind wie Moden dem wechselnden Zeitgeist unterworfen. Was lange Zeit geschmäht wurde, kann sich später im Rückblick als unersetzlich oder besonders wertvoll erweisen.
Der Grund für diese sich wandelnde Bewertung ist häufig, dass die notwendige zeitliche Distanz fehlt, um Typisches, Besonderes, aber auch gewisse Entwicklungen überhaupt bewusst wahrzunehmen. Gerade deshalb ist es so spannend, sich mit der jüngeren Denkmallandschaft Deutschlands auseinanderzusetzen. Überraschungen sind garantiert. Wer sich mit offenen Augen und ohne Vorurteile den Talenten der jüngeren Baukultur nähert, erlebt eine ungemein vielschichtige Ära. Nicht alles, was damals an Architektur geschaffen wurde, wird man als schön empfinden. Aber das ist auch nicht entscheidend. Schutzwürdig können durchaus auch spröde Zeitzeugen sein. Gerade sie erinnern uns daran, was eine Epoche in ihrer Widersprüchlichkeit ausmachte. Soziale, politische und wirtschaftliche Zusammenhänge bilden sich darin ab. Sie prägen das Jetzt mit und sind doch schon abgerückt von der Gegenwart.
Tatsächlich ist es noch gar nicht so lange her, dass die heute so geliebten verwinkelten Fachwerkstädte und Gründerzeitquartiere als Altlast empfunden wurden. Lieber abreißen und neu bauen heißt auch heute oft der Reflex, wenn ein „Klotz“ der 1960er in bester Innenstadtlage dem Veränderungsdruck im Weg steht. Viel beispielhafte Architektur ist bereits verschwunden. Sogar prominente Bauten der Nachkriegsmoderne werden leider immer noch geopfert. Die Gründe sind vielschichtig. Was tun, wenn etwa eine ortsbildprägende Kirche, kaum mehr als 50 Jahre alt, zur Debatte steht? Die Gemeinde ist geschrumpft, der damals kühn verwendete Baustoff Beton zeigt seine Tücken. Eine Erhaltung erweist sich gerade bei modernen Baudenkmalen als unerwartet aufwendig und diffizil. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz setzt sich mit gutem Grund und voller Überzeugung auch für die einzigartigen Denkmale der Nachkriegsmoderne ein. Eine Auswahl beispielhafter junger Denkmale, für die wir uns einsetzen, finden Sie hier. Die charakteristischen Bauwerke dieser Ära fachgerecht zu erhalten und ihren manchmal spröden Charme nicht auszuradieren ̶ das ist eine große Verantwortung.
Deutschland hat sich in den vergangenen 100 Jahren stark verändert. Gesellschaftliche Umbrüche, politische Krisen und ein furchtbarer Krieg, aber auch ein enormer Wirtschaftsaufschwung und Wohlstand haben in unserem täglichen Lebensumfeld Spuren hinterlassen. Was gebaut wurde, begeistert vielleicht nicht immer. Aber es berichtet von dem Weg, den unsere Gesellschaft hinter sich hat. Wie sensibel sind wir, das Bleibende und Epochenprägende der jüngeren Vergangenheit zu erkennen? Wie tolerant, auch das zu schützen und zu bewahren, was noch nicht bei einer Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Anklang findet? Die Denkmalpflege hat Kriterien und Maßstäbe, um die Architektur vergangener Epochen zu beurteilen und einzuschätzen. Und tatsächlich gibt es gerade in der jüngeren Architekturlandschaft Nachholbedarf. Vielfach rücken die schützenswerten Bauten der Nachkriegsjahrzehnte erst jetzt ins öffentliche Bewusstsein.
Mehr und mehr gewinnt die Fangemeinde der Nachkriegsmoderne an Stärke. Bürgerprotest stellt sich Abrissplänen entgegen. Das Revival betrifft längst nicht nur die eleganten 50er-Jahre-Bauten der Nierentisch-Ära. Auch die Sixties holen auf. Stichwort „Brutalismus“! An den raumgreifend-markanten Schöpfungen aus rohem Sichtbeton schieden sich von Anfang an die Geister. Jetzt entfalten sie eine unerwartete Anziehungskraft. Derweil geht schon die nächste Generation von Denkmal-Talenten an den Start: Die Postmoderne der 1980er ist im Kommen. Vom vernachlässigten Schandfleck zum „Rising Star“ der Architekturgeschichte? Was erhaltungswürdig ist und überdauert, wird heute entschieden. Darum ist es so wichtig, sich genau jetzt mit diesen Bauten auseinanderzusetzen. Die jungen Talente der Baukultur warten nur darauf, dass wir sie wahrnehmen!
Was Experten zu jungen Denkmalen sagen, lesen Sie hier. Junge Denkmale, denen wir bereits helfen konnten, finden Sie hier.