Geschichte wird ständig fortgeschrieben

Interview mit Dr. Sabine Schulte

Dr. Sabine Schulte leitet die Abteilung Inventarisation und Denkmalvermittlung beim Landesdenkmalamt Berlin und ist stellvertretende Sprecherin der Arbeitsgruppe Inventarisation bei der Vereinigung der Denkmalfachämter in den Ländern (VDL).

Was zeichnet die Architektur seit den 1980er Jahren aus? Welche Trends prägten sie und was unterscheidet sie von den vorhergehenden Jahrzehnten?

In den 1980er Jahren setzte sich vielfach durch, was sich in den 1970er Jahren angebahnt hatte: ein Umdenken in Stadtplanung und Städtebau, aber auch im Bauen und der Architektur selbst. Zusammen mit einem neu erwachten Interesse an Geschichte wurde auch die Stadt neu entdeckt. Im pluralistischen Jahrzehnt der 1980er Jahre führte das ebenso zu kritischen Reflexionen wie zu „romantischen“ Rekonstruktionen. Die Geschichte bekam einen neuen Stellenwert in der Planungs- und Baupraxis, aber auch Themen wie Ökologie und Partizipation.

Was könnte rückblickend als typisch oder prägend für diese Epoche gesehen werden?

Die Objekte verbindet häufig eher, dass sie zur gleichen Zeit entstanden sind, als eine formale Verwandtschaft. Dabei waren die Entstehungsbedingungen nicht nur in Ost- und Westdeutschland verschieden, sondern grundsätzlich in den jeweiligen politischen, gesellschaftlichen oder räumlichen Kontexten. Vielleicht ist es also gerade die Vielfalt der Erscheinungsformen, welche die Architektur der 1980er, der 1990er bis in die 2000er Jahre ausmacht, weshalb wir einen differenzierten Blick auf diese Bauten brauchen. Stilgeschichtliche Sammelbegriffe wie Spätmoderne, Postmoderne, Dekonstruktivismus, High-Tech, Öko-Architektur, New Urbanism, Medien und Signature-Architektur oder Wiederaufleben des Neuen Bauens und kritische Rekonstruktion versuchen, diese Erscheinungsformen stilistisch zu fassen, vermögen aber die umfassendere geschichtliche und denkmalkundliche Perspektive nicht darzustellen.

Was spricht für eine Unterschutzstellung jüngerer Gebäude, und welche Bauten haben hier die größten Chancen?

Geschichte wird ständig fortgeschrieben. Neue Zeitschichten kommen hinzu, die aufeinander aufbauen, sich durchdringen oder auch als Zäsur und Bruch empfunden werden. Die Denkmalpflege nimmt daher immer wieder neue Objekte und ihre Entstehungsumstände in den Blick. Gerade diese jungen Denkmale können unser historisches Bewusstsein stärken. Sie verdeutlichen uns, dass wir selbst als Handelnde und als Zeitzeugen täglich mit Prozessen in Berührung kommen, die wir in Zukunft als Teil unserer eigenen und Teil unserer gemeinsamen Geschichte wahrnehmen werden. Wertvoll erscheinen solche Bauten, Stadträume, Freiflächen und Gärten, die ihre Entstehungszeit und Entstehungsbedingungen besonders anschaulich vermitteln.

Was hat es mit der „30 Jahre-Regel“ auf sich, wonach ab ca. 30 Jahren nach Errichtung Gebäude unter Denkmalschutz gestellt werden können?

Der Abstand, mit dem wir auf ein Objekt blicken, sollte idealerweise eine Generation sein. Er kann sich aber verkürzen, wenn Geschichte eine besondere Dynamik bekommt, z.B. durch Ereignisse wie Krieg, Naturkatastrophen oder Veränderungsdruck. Wenn Objekte schneller verschwinden, dann bekommen wir es zwangsläufig mit kürzeren Zeiträumen zu tun, in denen wir Entscheidungen treffen müssen. Zeitliche Verkürzung verlangt eine höhere Bewertungsleistung, weil wir nicht nur von unserer eigenen Zeitzeugenschaft abstrahieren müssen, sondern oft ohne abschließenden Überblick belastbare Darstellungen möglicher Denkmalwerte erarbeiten müssen.

Welches sind aktuell die jüngsten, bereits denkmalgeschützten Bauten, die Sie aus Ihrer Arbeit beim Landesdenkmalamt Berlin kennen?

In Berlin handelt es sich dabei meist um Bauten, deren Planung in den 1980er Jahre begonnen wurde und die in den 1990er Jahre fertiggestellt wurden wie z.B. Bauten der Internationalen Bauausstellung IBA 87. Das jüngste Berliner Denkmal oder die jüngste Denkmalschicht sind die 2003-04 umgebauten Güterhallen am Hamburger Bahnhof, die zum Teil des ‚Museums für Gegenwart‘ wurden und als Ausstellungsort „Rieckhallen“ internationale Bekanntheit erlangten.

Ist es überhaupt möglich, vorauszusagen, welche Gebäude einmal Denkmalstatus haben werden?

Denkmaleigenschaft ist schwer vorherzusagen, weil sie sich auf weit mehr als auf direkt sichtbare gestalterische Qualität von Objekten bezieht. Neben Überlieferungsqualität, Seltenheitswert, Authentizität und Integrität ist vor allem die Geschichte wichtig, die die Bauten bezeugen können, also Werte, die erforscht, dargestellt und vermittelt werden müssen.

Lassen Sie uns gemeinsam Denkmale erhalten!

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