Der Architekt Aristide Ostuzzi scheint ein findiger Kopf gewesen zu sein. Im März 1901 reichte er bei den Behörden der Stadt Passau den Entwurf für ein schlichtes, dreigeschossiges Wohnhaus ein, der ohne weiteres genehmigt wurde. Errichtet hat Ostuzzi dann allerdings ein völlig anderes, keineswegs schlichtes Gebäude. Die Passauer nennen es die "Glasscherbenvilla". Die reichgegliederte Fassade funkelt und glitzert im Sonnenlicht, über und über mit farbigen Glasscherben und Porzellanbruchstücken verziert. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man zerschlagene Teller, Terrinen und Krüge sowie allerlei zerbrochene Heiligen- und Nippesfiguren. Die Scherben sind allerdings keineswegs zufällig angeordnet. Sie fügen sich zu geometrischen Mustern und Blumenornamenten, die eine sichere Künstlerhand erkennen lassen. Wie der im norditalienischen Udine geborene Ostuzzi auf diese Idee kam, lässt sich nur vermuten. Vielleicht hatte er im Bayerischen Wald Häuser gesehen, die mit Glasbruch aus den örtlichen Glashütten verziert waren. Sicher faszinierten ihn auch die mit Halbedelsteinen und Muscheln ausgekleideten Grotten barocker Fürstenhöfe. Handwerklich wurde bei aller Extravaganz solide gearbeitet, wie die Restauratoren bei der jüngsten Sanierung der stark verwitterten Fassade feststellen konnten. An der Restaurierung der Fassaden war auch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz beteiligt. Vom Schmutz der vergangenen Jahrzehnte befreit, zieht die Glasscherbenvilla nun wie vor 100 Jahren die Blicke der Passanten auf sich – ein Märchenschloss, das ein findiger Baumeister der Bürokratie abgetrotzt hat.
Adresse:
Ostuzzistraße
94032 Passau
Bayern