09.09.2010 – Presse

Der letzte barocke Kirchturm in Berlin steht in Spandau

Die Sophienkirche in Berlin-Mitte – Ein Förderprojekt der vor 25 Jahren gegründeten Deutschen Stiftung Denkmalschutz

Die Sophienkirche aus dem 18. Jahrhundert ist in ihrer barocken Erscheinung und mit ihrem 70 Meter hohen Turm baugeschichtlich sehr bedeutsam für Berlin. Von der reichen Innenausstattung haben sich die Kanzel aus dem beginnenden, die originale Rokokotaufe aus der Mitte und eine Ernst Marx-Orgel vom Ende des 18. Jahrhunderts sowie auf dem einstigen Kirchhof reich gestaltete Epitaphien erhalten. Für die dicht besiedelte Spandauer Vorstadt hat die Kirche eine besondere identitätsstiftende Bedeutung. Neben der Organisation der zahlreichen Gottesdienste und der Betreuung des Kindergartens umfasst die Gemeindearbeit gerade auch die Organisation und Durchführung kultureller Veranstaltungen. In regelmäßigen Abständen finden Ausstellungen und Konzerte statt, wobei der Kirchenmusik besondere Aufmerksamkeit gilt. Doch auch Seniorennachmittage und Veranstaltungen für Kindergruppen erfreuen sich großer Beliebtheit. Einziger Wermutstropfen: Nach jahrelangem Mühen der Gemeinde um die Sanierung des Kirchturms muss jetzt das Kirchenschiffdach, vor allem das Gesims repariert werden.

Um 1700 sprengte der Bevölkerungszuwachs Berlins mittelalterliche Stadtgrenzen. Im Norden der Stadt entstand hinter dem Spandauer Tor die gleichnamige Vorstadt. Bald schon wünschten sich die Bewohner eine spezifische seelsorgliche Betreuung mit eigenem Kirchenbau. So wurde 1712 die Sophienkirche errichtet, ursprünglich im Typ der Berliner protestantischen Predigerkirche als querorientierte schlichte Emporensaalkirche mit hohem Walmdach. Die Entwürfe zu der von Königin Sophie Luise gestifteten Kirche stammen vermutlich von Philipp Gerlach.

1833 baute man an die Südseite der Sophienkirche die Sakristei an. Im Inneren wurden Altar und Kanzel an die östliche Schmalseite versetzt und das zweite Emporengeschoss entfernt. Umfassend veränderten 1892 die Pläne von Friedrich Schulze, Adolf Heyden und Kurt Berndt die Kirche. St. Sophien wurde im Neobarockstil zu einer einschiffigen Hallenkirche umgebaut mit einer Chorapsis und einer dreiseitigen Empore. Im Osten entstand ein gesonderter Altarraum. Die damalige Errichtung zahlreicher Mietshäuser eröffnete die Möglichkeit zur Schaffung einer großzügigen städtebaulichen Eingangssituation. Im Beschuss des Zweiten Weltkriegs verlor die Kirche nur mehr ihre farbigen Fenster, überstand jedoch ansonsten.

Den stattlichen Turm nach einem Entwurf von Johann Friedrich Grael, der in seiner Erscheinung dem einst nahegelegenen Münzturm von Andreas Schlüter verpflichtet war, erhielt der Sakralbau erst von 1729 bis 1735. Das Unterfangen war Bestandteil des Wunschprojekts des Soldatenkönigs nach möglichst vielen Türmen in der Stadt. Im Rahmen dieses großangelegten Kirchturmbauprogramms ließ er während seiner Regierungszeit acht Türme errichten. Dabei war der Berliner Baugrund schwierig und manche Türme stürzten ein. Doch der 69 Meter hohe, bis zur Haube massiv gemauerte Campanile von St. Sophien ist von außerordentlicher Qualität. Den letzten hochaufragenden barocken Kirchturm Berlins prägen die verputzten Flächen und die Sandsteingliederung. Der obere Teil des Turms ist stark zurückgesetzt, als handle es sich um einen zweigeschossigen, plastisch bewegten Säulenaufbau, den eine lebhaft geschweifte Haube abschließt, um an Georg Dehios Beschreibung zu erinnern. Das Hauptportal des Turms rahmt eine Pilasterarchitektur. Im Gegensatz zum Kirchenschiff hat der Turm kunstgeschichtlich stets hohe Anerkennung gefunden. Nach mehreren Sanierungen im Laufe der Jahrhunderte wies der Turm an allen Stellen umfangreiche Schäden auf. Ganz besonders betroffen waren die Bauteile aus Reinhardtsdorfer Elbsandstein. Die stark profilierten und herausragenden Gesimse wurden ursprünglich von Eisenankern gehalten, deren Zustand zu Rissen in den Sandsteinelementen führte. Hier scherbelte der Stein in großen Stücken ab. Einige Materialien, wie Steinersatzmasse und Vierungen, die bei früheren Restaurierungsarbeiten verwendet wurden, entsprachen in der ästhetischen Eigenart und den bauphysikalischen Kennwerten nicht dem Originalmaterial, so dass es auch hier zu Abplatzungen und Absandungen kam. Im Herbst 2005 war der Zustand des Turmes so bedenklich geworden, dass abstürzende Teile Passanten und Bewohner zu erschlagen drohten. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz half mit 19.000 Euro. Als endlich im Sommer 2010 die Gerüste fielen, atmete die Gemeinde auf. Nun steht das Dach des Kirchenschiffs auf der Agenda.

Bonn, den 9. September 2010