31.05.2010 – Presse

Vorne Neugotik, hinten alter Backstein - Wo Altes auf alt getrimmt wurde

Palais Rantzau in Lübeck – Ein Förderprojekt der vor 25 Jahren gegründeten Deutschen Stiftung Denkmalschutz 

Jahrelang war bei Palais Rantzau in Lübeck die Bauunterhaltung vernachlässigt worden. Risse hatten sich an den Fassaden gebildet, Feuchte war ins Mauerwerk und in den Traufbereich gedrungen. Entstellende, teils zerstörende Einbauten hatten den Charme des Gebäudes unkenntlich gemacht, überdies verunstalteten völlig verbrauchte Oberflächen und eine veraltete Haustechnik den Bau. Im zweiten Obergeschoss entdeckte man Hausschwamm, das Mauerwerk war versalzen, Fassaden- und Innenputze platzten ab. Schließlich sorgte die unzureichende Gründung auf dem sandigen Baugelände für eine akute Gefährdung des Gebäudes. Abhilfe kam, als die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) das Objekt 2002 übernahm. Die behutsame, aber gründliche Restaurierung kostete 3,1 Millionen Euro. 2005 konnte das prachtvolle Bauwerk einer neuen denkmalgerechten Nutzung zugeführt werden. Das Schleswig-Holstein Musik Festival zog in die Räumlichkeiten ein und schwärmt davon in hohen Tönen. 

An einem sonnigen Junitag im Jahr 2005 strahlten alle: der blaue Himmel, Professor Dr. Gottfried Kiesow, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD), Dr. Robert Knüppel, damals Generalsekretär der Stiftung, Bürgermeister Bernd Saxe und Rolf Beck, Intendant des Schleswig-Holstein Musik Festivals. Die ersteren waren zufrieden, dass das Palais Rantzau nach dreijähriger aufwendiger Sanierung im alten Glanz erstrahlte, das Stadtoberhaupt, weil der langjährige Schandfleck endlich nicht mehr das Bild der Lübecker Altstadt mit bröckelndem Putz und trauriger Fassade trübte, und der Musikschaffende, weil das großzügige und prächtige Bauwerk dem herausragenden internationalen Kulturereignis ein repräsentatives Zuhause schuf. 

Palais Rantzau ist ein „neugotischer gotischer Bau“, für Lübeck gar ein einzigartiges Beispiel der Neugotik. Bauherr Kuno Graf Rantzau-Breitenburg wollte 1858 mit dem Umbau der ehemaligen Domherrenkurie aus dem 13. Jahrhundert einerseits die ursprüngliche Gotik wieder aufleben lassen, andererseits sein Stadtpalais gemäß der damaligen Begeisterung für das mittelalterliche Rittertum und seine Burgen zeitgemäß ausgestalten. So wurde sein städtischer Wohnsitz 1858 in romantisierenden Formen erbaut. Die gotische Domherrenkurie, die letzte von ehedem 13 mittelalterlichen Domkurien in Lübeck, ist im Innern an den starken Mauerquerschnitten und dem rückwärtigen gotischen Giebel gut ablesbar. 

Graf Rantzau war nicht der erste, der an das gotische Gebäude Hand anlegte. Im Lauf der Jahrhunderte wurde es mehrfach umgebaut. Aus dem 15. Jahrhundert stammen die backsteinsichtige Rückfassade und das beeindruckende gotische Kellergewölbe. Im 17. Jahrhundert bemalte Deckenbalken und barocke Türeinfassungen finden sich im Erdgeschoß. Im Obergeschoß ist der von Johann Nepomuk Metz gestaltete prächtige Rokokosaal von 1762 erhalten. Umfangreiche Stuckaturen machen ihn zu einem der schönsten Säle der Hansestadt. 1760 erhielt die langgestreckte dreigeschossige Kurie durch zwei zweiachsige Anbauten in Ost-West-Richtung ihren fast quadratischen Grundriß. 1805 wurde die Kurie aufgelöst, das Gebäude mehrfach verkauft, 1857 schließlich an den Grafen Rantzau, der das Haus schon während des nächsten Krieges 1870/71 als Lazarett freigab. 1901 übernahm es die Stadt, machte es zur Frauengewerbeschule, später zum Bürogebäude und entledigte es seiner noblen Eleganz. 

Mit der Übernahme des Gebäudes durch die DSD änderte sich das Schicksal. Die Entfernung jüngst abgehängter Decken und eingezogener Wände machte die großräumige Architektur wieder erlebbar. Verborgenes kam zum Vorschein. Die benachbarte Oberschule zum Dom verfolgte die Sanierungsmaßnahmen 2003/04 im Rahmen des DSD-Schulprogramms „denkmal aktiv“. Dabei konnten die Neuntklässler die Laboruntersuchungen mitverfolgen, deren Ergebnisse die Domkurie um Jahrhunderte „altern ließen“. Das Gebäude stammte plötzlich nicht mehr - wie zuvor angenommen - aus dem 16., sondern schon aus dem 14. Jahrhundert. Weitere knifflige denkmalpflegerische Fragen waren im Verlauf des Baufortschritts zu lösen, so die Einbettung moderner Sicherheitsstandards. Manche Fragen zur Baugeschichte sind noch nicht abschließend geklärt. Doch den musikalischen Genuss im Rokokosaal dürfte das nicht beeinträchtigen - vor allem, wenn die Sonne scheint.